Hans Christian Andersen
Sämmtliche Märchen, 1862

Das häßliche junge Entlein


Es war so herrlich draußen auf dem Lande! Es war Sommer, das Korn stand gelb, der Hafer grün, das Heu war unten auf den grünen Wiesen in Schobern aufgesetzt, und der Storch ging auf seinen langen, rothen Beinen und plapperte ägyptisch, denn diese Sprache hatte er von seiner Frau Mutter gelernt. Rings um die Aecker und die Wiesen waren große Wälder, und mitten in den Wäldern tiefe Seen. Ja, es war wirklich herrlich da draußen auf dem Lande! Mitten im Sonnenschein lag dort ein altes Landgut, von tiefen Kanälen umgeben; und von der Mauer bis zum Wasser herunter wuchsen große Klettenblätter, die so hoch waren, daß kleine Kinder unter den höchsten aufrecht stehen konnten; es war eben so wild darin, wie im tiefsten Walde. Hier saß eine Ente auf ihrem Neste, welche ihre Jungen ausbrüten mußte; aber es wurde ihr fast zu langweilig, ehe die Jungen kamen; dazu erhielt sie selten Besuch; die andern Enten schwammen lieber in den Kanälen umher, als daß sie hinauf liefen, sich unter ein Klettenblatt zu setzen, um mit ihr zu schnattern.
Endlich platzte ein Ei nach dem andern; "Piep! piep!" sagte es, und alle Eidotter waren lebendig geworden und steckten den Kopf heraus.
"Rapp! rapp!" sagte sie; und so rappelten sich Alle, was sie konnten, und sahen nach allen Seiten unter den grünen Blättern; und die Mutter ließ sie sehen, so viel sie wollten, denn das Grüne ist gut für die Augen.
"Wie groß ist doch die Welt!" sagten alle Jungen; denn nun hatten sie freilich ganz anders Platz, als wie sie noch drinnen im Ei lagen.
"Glaubt Ihr, daß dies die ganze Welt sei?" sagte die Mutter; "die erstreckt sich noch weit über die andere Seite des Gartens, gerade hinein in des Pfarrers Feld; aber da bin ich noch nie gewesen!" - "Ihr seid doch Alle beisammen?" fuhr sie fort und stand auf. "Nein, ich habe nicht Alle; das größte Ei liegt noch da; wie lange soll denn das dauern! Jetzt bin ich es bald überdrüssig!" und so setzte sie sich wieder.
"Nun, wie geht es?" fragte eine alte Ente, welche gekommen war, um ihr einen Besuch abzustatten.
"Es währt so lange mit dem einen Ei!" sagte die Ente, die da saß; "es will nicht platzen; doch sieh nur die andern an: sind es nicht die niedlichsten Entlein, die man je gesehen? Sie gleichen allesammt ihrem Vater; der Bösewicht kommt nicht, mich zu besuchen."
"Laß mich das Ei sehen, welches nicht platzen will!" sagte die Alte. "Glaube mir, es ist ein Kalekutenei! Ich bin auch einmal so angeführt worden und hatte meine große Sorge und Noth mit den Jungen, denn ihnen ist bange vor dem Wasser! Ich konnte sie nicht hineinbringen; ich rappte und schnappte, aber es half nichts. - Laß mich das Ei sehen! Ja, das ist ein Kalekutenei! Laß das liegen und lehre lieber die andern Kinder schwimmen."
"Ich will doch noch ein Bischen darauf sitzen," sagte die Ente; "habe ich nun so lange gesessen, so kann ich auch noch einige Tage sitzen."
"Nach Belieben," sagte die alte Ente und ging von dannen.
Endlich platzte das große Ei. "Piep! piep!" sagte das Junge und kroch heraus. Es war so groß und so häßlich! Die Ente betrachtete es: "Es ist doch ein gewaltig großes Entlein das," sagte sie; "keins von den andern sieht so aus; sollte es wohl ein kalekutisches Küchlein sein? Nun wir wollen bald dahinter kommen; in das Wasser muß es, sollte ich es auch selbst hineinstoßen."
Am nächsten Tage war schönes, herrliches Wetter; die Sonne schien auf alle grünen Kletten. Die Entleinmutter ging mit ihrer ganzen Familie zu dem Kanale hinunter. Platsch! da sprang sie in das Wasser. Rapp! rapp!" sagte sie, und ein Entlein nach dem andern plumpte hinein; das Wasser schlug ihnen über den Kopf zusammen, aber sie kamen gleich wieder empor und schwammen so prächtig; die Beine gingen von selbst, und alle waren sie im Wasser; selbst das häßliche, graue Junge schwamm mit.
"Nein, es ist kein Kalekut," sagte sie; "sieh, wie herrlich es die Beine gebraucht, wie gerade es sich hält; es ist mein eigenes Kind! Im Grunde ist es doch ganz hübsch, wenn man es nur recht betrachtet. Rapp! rapp! - Kommt nur mit mir, ich werde Euch in die große Welt führen, Euch im Entenhof präsentiren; aber haltet Euch immer nahe zu mir, damit Niemand Euch trete, und nehmt Euch vor den Katzen in Acht!"
Und so kamen sie in den Entenhof hinein. Da drinnen war ein schrecklicher Lärmen, denn da waren zwei Familien, die sich um einen Aalkopf bissen, und am Ende bekam ihn doch die Katze.
"Seht, so geht es in der Welt zu!" sagte die Entleinmutter und wetzte ihren Schnabel, denn sie wollte auch den Aalkopf haben. "Braucht nun die Beine!" sagte sie; "seht, daß Ihr Euch rappeln könnt, und neigt Euern Hals vor der alten Ente dort; die ist die vornehmste von allen hier; sie ist aus spanischem Geblüt, deshalb ist sie so dick, und seht Ihr: sie hat einen rothen Lappen um das Bein; das ist etwas außerordentlich Schönes und die größte Auszeichnung, welche einer Ente zu Teil werden kann; das bedeutet so viel, daß man sie nicht verlieren will und daß sie von Tier und Menschen erkannt werden soll! - Rappelt Euch! - setzt die Füße nicht einwärts: ein wohlerzogenes Entlein setzt die Füße weit auseinander, gerade so wie Vater und Mutter; seht: so! Nun neigt Euern Hals und sagt: Rapp!"
Und das thaten sie; aber die andern Enten rings umher betrachteten sie und sagten ganz laut: "Sieh da! Nun sollen wir noch den Anhang haben; als ob wir nicht schon so genug wären! Und pfui! wie das eine Entlein aussieht; das wollen wir nicht dulden!" - Und sogleich flog eine Ente hin und biß es in den Nacken.
"Laß es gehen!" sagte die Mutter; "es tut ja Niemanden etwas."
"Ja, aber es ist zu groß und ungewöhnlich," sagte die beißende Ente;"und deshalb muß es gepufft werden."
"Es sind hübsche Kinder, welche die Mutter hat," sagte die alte Ente mit dem Lappen um das Bein: "alle schön, bis auf das eine: das ist nicht geglückt; ich möchte, daß sie es umarbeiten könnte."
"Das geht nicht, Ihro Gnaden!" sagte die Entleinmutter; "es ist nicht hübsch, aber es hat ein innerlich gutes Gemüth und schwimmt so herrlich wie eines von den andern, ja, ich darf sagen, noch etwas besser; ich denke, es wird hübsch heranwachsen und mir der Zeit etwas kleiner werden; es hat zu lange in dem Ei gelegen und deshalb nicht die rechte Gestalt bekommen!" Und so zupfte sie es im Nacken und glättete das Gefieder. "Es ist überdies ein Entrich," sagte sie; "und darum macht es nicht so viel aus. Ich denke, er wird gute Kräfte bekommen; er schlägt sich schon durch!"
"Die andern Entlein sind niedlich," sagte die Alte; "tut nun, als ob Ihr zu Hause wäret, und findet Ihr einen Aalkopf, so könnt Ihr mir ihn bringen."
Und so waren sie wie zu Hause.
Aber das arme Entlein, welches zuletzt aus dem Ei gekrochen war und so häßlich aussah, wurde gebissen, gestoßen und zum besten gehabt, und das sowohl von den Enten, wie von den Hühnern. "Es ist zu groß!" sagten Alle, und der kalekutische Hahn, welcher mit Sporen zur Welt gekommen war und deshalb glaubte, daß er Kaiser sei, blies sich auf wie ein Fahrzeug mit allen Segeln, ging gerade auf dasselbe los, und dann kollerte er und wurde ganz roth am Kopfe. Das arme Entlein wußte nicht, wo es stehen oder gehen sollte; es war so betrübt, weil es so häßlich aussah und vom ganzen Entenhofe verspottet wurde.
So ging es den ersten Tag, und später wurde es schlimmer und schlimmer. Das arme Entlein wurde von Allen gejagt; selbst seine Schwestern waren so böse gegen dasselbe und sagten immer: "Wenn die Katze Dich nur fangen möchte, Du häßliches Geschöpf!" Und die Mutter sagte: "Wenn Du nur weit fort wärst!" Und die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, welches die Thiere füttern sollte, stieß mit den Füßen darnach.
Da lief es und flog über den Zaun; die kleinen Vögel in den Büschen flogen erschrocken auf. "Das geschieht, weil ich so häßlich bin," dachte das Entlein und schloß die Augen, lief aber gleichwohl weiter; so kam es hinaus zu dem großen Moor, wo die wilden Enten wohnten. Hier lag es die ganze Nacht; es war so müde und kummervoll.
Am Morgen flogen die wilden Enten auf, und sie betrachteten den neuen Kameraden. "Was bist Du für Einer?" fragten sie; und das Entlein wendete sich nach allen Seiten und grüßte, so gut es konnte.
"Du bist außerordentlich häßlich!" sagten die wilden Enten; aber das kann uns gleich sein, wenn Du nur nicht in unsere Familie hinein heirathest." - Das Arme! Es dachte wahrlich nicht daran, sich zu verheirathen, wenn es nur die Erlaubniß erhalten konnte, im Schilfe zu liegen und etwas Moorwasser zu trinken.
So lag es zwei ganze Tage; da kamen zwei wilde Gänse oder richtiger wilde Gänseriche dorthin; es war noch nicht lange her, daß sie aus dem Ei gekrochen waren, und deshalb waren sie auch so keck.
"Höre, Kamerad!" sagten sie; "Du bist so häßlich, daß wir Dich gut leiden mögen; willst Du mitziehen und Zugvogel werden? Hier nahebei in einem andern Moore gibt es einige süße, liebliche wilde Gänse, sämmtlich Fräulein, die alle "Rapp!" sagen können. Du bist im Stande, Dein Glück da zu machen, so häßlich Du auch bist!" - -
"Piff! paff!" ertönte es eben, und beide wilde Gänseriche fielen todt in das Schilf nieder, und das Wasser wurde blutroth. - "Piff! paff!" erscholl es wieder, und ganze Schaaren wilder Gänse flogen aus dem Schilfe auf. Und dann knallte es abermals. Es war große Jagd; die Jäger lagen rings um das Moor herum; ja, einige saßen oben in den Baumzweigen, welche sich weit über das Schilfrohr hinstreckten. Der blaue Dampf zog gleich Wolken in die dunkeln Bäume hinein und weit über das Wasser hin; zum Moore kamen die Jagdhunde: Platsch! platsch! das Schilf und das Rohr neigte sich nach allen Seiten. Das war ein Schreck für das arme Entlein! Es wendete den Kopf, um ihn unter den Flügel zu stecken, aber in demselben Augenblick stand ein fürchterlich großer Hund dicht bei dem Entlein; die Zunge hing ihm lang aus dem Halse heraus, und die Augen leuchteten gräulich häßlich; er streckte seinen Rachen dem Entlein gerade entgegen, zeigte ihm die scharfen Zähne und - - Platsch! platsch! ging er wieder, ohne es zu packen.
"O, Gott sei Dank!" seufzte das Entlein; "ich bin so häßlich, daß mich selbst der Hund nicht beißen mag!"
Und so lag es ganz stille, während die Schrote durch das Schilf sausten, und Schuß auf Schuß knallte.
Erst spät am Tage wurde es stille; aber das arme Junge wagte noch nicht, sich zu erheben; es wartete noch mehrere Stunden, bevor es sich umsah, und dann eilte es fort aus dem Moore, so schnell es konnte. Es lief über Feld und Wiese; da tobte ein solcher Sturm, daß es ihm schwer wurde, von der Stelle zu kommen.
Gegen Abend erreichte es eine arme kleine Bauerhütte; die war so baufällig, daß sie selbst nicht wußte, nach welcher Seite sie fallen sollte; und darum blieb sie stehen. Der Sturm umsauste das Entlein so, daß es sich niedersetzen mußte, um sich dagegen zu stemmen; und es wurde schlimmer und schlimmer. Da bemerkte es, daß die Thür aus der einen Angel gegangen war und so schief hing, daß es durch die Spalte in die Stube hineinschlüpfen konnte, und das tat es.
Hier wohnte eine Frau mit ihrem Kater und ihrer Henne. Und der Kater, welchen sie Söhnchen nannte, konnte einen Buckel machen und schnurren; er sprühte sogar Funken, aber dann mußte man ihn gegen die Haare streicheln. Die Henne hatte ganz kleine niedrige Beine, und deshalb wurde sie Küchelchen-Kurzbein genannt; sie legte gut Eier, und die Frau liebte sie wie ihr eigenes Kind.
Am Morgen bemerkte man sogleich das fremde Entlein; und der Kater begann zu schnurren und die Henne zu glucken.
"Was ist das?" sagte die Frau und sah sich ringsum; aber sie sah nicht gut, und so glaubte sie, daß das Entlein eine fette Ente sei, die sich verirrt habe. "Das ist ja ein seltener Fang!" sagte sie. "Nun kann ich Enteneier bekommen. Wenn es nur kein Entrich ist! Das müssen wir erproben."
Und so wurde das Entlein für drei Wochen auf Probe angenommen; aber es kamen keine Eier. Und der Kater war Herr im Hause, und die Henne war die Dame, und immer sagten sie: "Wir und die Welt!" Denn sie glaubten, daß sie die Hälfte seien, und zwar die bei weitem beste Hälfte. Das Entlein glaubte, daß man auch eine andere Meinung haben könne! aber das litt die Henne nicht.
v"Kannst Du Eier legen?" fragte sie.
"Nein!"
"Nun, da wirst Du die Güte haben, zu schweigen!"
Und der Kater fragte: "Kannst Du einen krummen Buckel machen, schnurren und Funken sprühen?"
"Nein!"
"So darfst Du auch keine Meinung haben, wenn vernünftige Leute sprechen!"
Und das Entlein saß im Winkel und war bei schlechter Laune; da fiel die frische Luft und der Sonnenschein herein; es bekam solche sonderbare Lust, auf dem Wasser zu schwimmen, daß es nicht unterlassen konnte, dies der Henne zu sagen.
"Was fällt Dir ein?" fragte die. "Du hast nichts zu thun, deshalb fängst Du Grillen! Lege Eier oder schnurre, so gehen sie vorüber."
"Aber es ist so schön, auf dem Wasser zu schwimmen!" sagte das Entlein; "so herrlich, es über den Kopf zusammenschlagen zu lassen und auf den Grund niederzutauchen!"
"Ja, das ist ein großes Vergnügen!" sagte die Henne. "Du bist wohl verrückt geworden! Frage den Kater danach - er ist das klügste Geschöpf, das ich kenne - ob er es liebt, auf dem Wasser zu schwimmen oder unterzutauchen? Ich will nicht von mir sprechen. - Frage selbst unsere Herrschaft, die alte Frau; klüger als sie ist Niemand auf der Welt! Glaubst Du, daß die Lust hat, zu schwimmen und das Wasser über den Kopf zusammenschlagen zu lassen?"
"Ihr versteht mich nicht!" sagte das Entlein.
"Wir verstehen dich nicht? Wer soll Dich denn verstehen können! Du wirst doch wohl nicht klüger sein wollen als der Kater und die Frau; - von mir will ich nicht reden! Bilde Dir nichts ein, Kind! und danke Deinem Schöpfer für all' das Gute, das man Dir erwiesen! Bist Du nicht in eine warme Stube gekommen und hast eine Gesellschaft, von der Du etwas profitiren kannst? Aber du bist ein Schwätzer, und es ist nicht erfreulich, mit Dir umzugehen! Mir kannst Du glauben! Ich meine es gut mit Dir. Ich sage Dir Unannehmlichkeiten, und daran kann man seine wahren Freunde erkennen! Sieh nur zu, daß Du Eier legst oder schnurren und Funken sprühen lernst!"
"Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!" sagte das Entlein.
"Ja, tue das!" sagte die Henne.
Und das Entlein ging; es schwamm auf dem Wasser, es tauchte unter, aber von allen Thieren wurde es wegen seiner Häßlichkeit übersehen.
Nun trat der Herbst ein; die Blätter im Walde wurden gelb und braun; der Wind faßte sie, sodaß sie umhertanzten; und oben in der Luft war es sehr kalt; die Wolken hingen schwer mit Hagel und Schneeflocken; und auf dem Zaun stand der Rabe und schrie: "Au! au!" vor lauter Kälte; ja, es fror Einen schon, wenn man nur daran dachte. Das arme Entlein hatte es wahrlich nicht gut! Eines Abends - die Sonne ging so schön unter - kam ein ganzer Schwarm herrlicher großer Vögel aus dem Busche; das Entlein hatte solche nie so schön gesehen; sie waren ganz blendend weiß, mit langen, geschmeidigen Hälsen; es waren Schwäne. Sie stießen einen ganz eigenthümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, langen Flügel aus und flogen von der kalten Gegend fort nach wärmern Ländern, nach offenen Seen! Sie stiegen so hoch, so hoch, und dem häßlichen jungen Entlein wurde so sonderbar zu Muthe. Es drehte sich im Wasser wie ein Rad rund herum, streckte den Hals hoch in die Luft nach ihnen aus und stieß einen so lauten und sonderbaren Schrei aus, daß es sich selbst davor fürchtete. O, es konnte die schönen, glücklichen Vögel nicht vergessen; und sobald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es gerade bis auf den Grund; und als es wieder heraufkam, war es wie außer sich. Es wußte nicht, wie die Vögel hießen, auch nicht, wohin sie flögen; aber doch war es ihnen gut, wie es nie Jemanden gewesen. Es beneidete sie durchaus nicht. Wie konnte es ihm einfallen, sich solche Lieblichkeit zu wünschen? Es wäre schon froh gewesen, wenn die Enten es nur unter sich geduldet hätten - das arme häßliche Tier!
Und der Winter wurde so kalt, so kalt! Das Entlein mußte im Wasser herumschwimmen, um das völlige Zufrieren desselben zu verhindern; aber in jeder Nacht wurde das Loch, in dem es schwamm, kleiner und kleiner. Es fror, sodaß es in der Eisdecke knackte; das Entlein mußte fortwährend die Beine gebrauchen, damit das Loch sich nicht schloß. Zuletzt wurde es matt, lag ganz stille und fror so im Eise fest.
Des Morgens früh kam ein Bauer; da er dies sah, ging er hin, schlug mit seinem Holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein heim zu seiner Frau. Da wurde es wieder belebt.
Die Kinder wollten mit ihm spielen; aber das Entlein glaubte, sie wollten ihm etwas zu Leide thun, und fuhr in der Angst gerade in den Milchnapf hinein, sodaß die Milch in die Stube spritzte. Die Frau schlug die Hände zusammen, worauf es in das Butterfaß, dann hinunter in die Mehltonne und wieder herausflog. Wie sah es da aus! Die Frau schrie und schlug mit der Feuerzange danach; die Kinder rannten einander über den Haufen, um das Entlein zu fangen: sie lachten und schrieen! - Gut war es, daß die Thür aufstand und es zwischen die Reiser in den frisch gefallenen Schnee schlüpfen konnte; - da lag es, ganz ermattet.
Aber all' die Noth und das Elend, welches das Entlein in dem harten Winter erdulden mußte, zu erzählen, würde zu trübe sein. - - Es lag im Moore zwischen dem Schilfe, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann. Die Lerchen sangen; es war herrlicher Frühling.
Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen; sie brausten stärker als früher, und trugen es kräftig davon; und ehe dasselbe es recht wußte, befand es sich in einem großen Garten, wo die Aepfelbäume in der Blüthe standen, wo der Flieder duftete und seine langen, grünen Zweige bis zu den gekrümmten Kanälen hinunterneigte. O, hier war es so schön, so frühlingsfrisch! Und vorn aus dem Dickicht kamen drei prächtige, weiße Schwäne; sie brausten mit den Federn und schwammen so leicht auf dem Wasser. Das Entlein kannte die prächtigen Thiere und wurde von einer eigenthümlichen Traurigkeit befangen.
"Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln! Und sie werden mich todtschlagen, weil ich, der ich so häßlich bin, mich ihnen zu nähern wage. Aber das ist einerlei! Besser, von ihnen getödtet, als von den Enten gezwackt, von den Hühnern geschlagen, von dem Mädchen, welches den Hühnerhof hütet, gestoßen zu werden und im Winter Mangel zu leiden!" Und es flog hinaus in das Wasser und schwamm den prächtigen Schwänen entgegen; diese erblickten es und schossen mit brausenden Federn auf dasselbe los. "Tödtet mich nur!" sagte das arme Thier, neigte seinen Kopf der Wasserfläche zu und erwartete den Tod. - Aber was erblickte es in dem klaren Wasser? Es sah sein eigenes Bild unter sich, das kein plumper, schwarzgrauer Vogel mehr, häßlich und garstig, sondern selbst ein Schwan war.
Es schadet nichts, in einem Entenhofe geboren zu sein, wenn man nur in einem Schwanenei gelegen hat!
Es fühlte sich ordentlich erfreut über all' die Noth und die Drangsale, welche es erduldet. Nun erkannte es erst recht sein Glück an all' der Herrlichkeit, die es begrüßte. - Und die großen Schwäne umschwammen es und streichelten es mit dem Schnabel.
In dem Garten kamen einige kleine Kinder, die warfen Brod und Korn in das Wasser; und das kleinste rief: "Da ist ein neuer!" Und die andern Kinder jubelten mit: "Ja, es ist ein neuer angekommen!" Und sie klatschten mit den Händen und tanzten umher, liefen zu dem Vater und der Mutter, und es wurde Brod und Kuchen in das Wasser geworfen, und sie sagten Alle: "Der neue ist der schönste! So jung und so prächtig!" Und die alten Schwäne neigten sich vor ihm.
Da fühlte er sich so beschämt und steckte den Kopf unter seine Flügel; er wußte selbst nicht, was er beginnen sollte; er war allzu glücklich, aber durchaus nicht stolz, denn ein gutes Herz wird nie stolz! Er dachte daran, wie er verfolgt und verhöhnt worden war und hörte nun Alle sagen, daß er der schönste aller schönen Vögel sei. Selbst der Flieder bog sich mit den Zweigen gerade zu ihm in das Wasser hinunter, und die Sonne schien so warm und so mild! Da brausten seine Federn, der schlanke Hals hob sich, und aus vollem Herzen jubelte er: "So viel Glück habe ich mir nicht träumen lassen, als ich noch das häßliche Entlein war!"

Hans Christian Andersen (1805-1875)